Wokeness: Eine spirituelle Sackgasse!

Wie geht’s euch im Dschungel der Meinungen, Debatten und Schlagwörter? Ich muss zugeben, manchmal fühlt sich die Welt da draußen an wie ein einziger, gigantischer Kommentarbereich, in dem jeder seine Wahrheit lauthals verkündet. Ein Begriff, der dabei in den letzten Jahren immer präsenter geworden ist und oft mit einer Art moralischer Überlegenheit einhergeht, ist „Wokeness“. Doch halt! Bevor wir uns in hitzige Diskussionen stürzen, möchte ich heute mal einen etwas anderen Blick darauf werfen – und zwar aus einer spirituellen Perspektive.

Ich frage mich nämlich: Könnte es sein, dass die moderne Wokeness, so gut gemeint sie in ihren Ursprüngen auch gewesen sein mag, uns am Ende nicht wirklich befreit, sondern uns sogar von einer viel tieferen Form des Erwachens abhält? Ist sie vielleicht eine Verweltlichung dessen, was spirituelle Traditionen als „Aufwachen aus der Illusion der Maya zum Einssein“ bezeichnen, und hält unser Bewusstsein so weiterhin gefangen? Lasst uns das mal genauer beleuchten.

Was ist eigentlich diese „Wokeness“?

Der Begriff „woke“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „wach“ oder „erwacht“. Ursprünglich bezog er sich auf das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten, insbesondere Rassismus. Das ist ja erstmal löblich, oder? Wer möchte nicht wach sein für Ungerechtigkeit?

Doch im Laufe der Zeit hat sich der Begriff ausgeweitet und umfasst heute ein breites Spektrum an Themen: Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz, sexuelle Identität, politische Korrektheit, Kolonialismus, Mikroaggressionen – die Liste ist lang. „Woke“ zu sein bedeutet oft, eine bestimmte Sensibilität für Machtstrukturen, Privilegien und Diskriminierungen zu entwickeln und sich aktiv für soziale Veränderungen einzusetzen.

Klingt auf den ersten Blick super. Wer will nicht für eine bessere, gerechtere Welt eintreten? Das Problem beginnt dort, wo aus einem Bewusstsein eine Ideologie, aus Sensibilität eine starre Dogmatik und aus der Forderung nach Gerechtigkeit eine unerbittliche moralische Verurteilung wird.

Spirituelles „Erwachen“ vs. Wokeness

In vielen spirituellen Traditionen, sei es im Buddhismus, Hinduismus oder in mystischen Lehren des Westens, geht es ebenfalls um ein „Erwachen“. Doch dieses Erwachen ist von einer fundamental anderen Natur als das, was wir heute unter Wokeness verstehen.

Das spirituelle Erwachen meint das Aufwachen aus der Illusion der Maya. Maya ist der Schleier der Täuschung, der uns die Welt als getrennt, materiell und egozentrisch erscheinen lässt. Es ist die Erkenntnis, dass unsere individuelle Identität („Ich“, „Mein“) eine Konstruktion ist, die uns von der fundamentalen Einheit allen Seins trennt. Das Ziel ist das Einssein (Advaita, Samadhi, Nirwana) – die Erfahrung, dass alles miteinander verbunden ist, dass wir Teil eines unendlichen, kosmischen Bewusstseins sind. Hier geht es nicht um die Unterscheidung von Gruppen oder das Aufdecken von Ungerechtigkeiten zwischen Menschen, sondern um die Auflösung der Trennung an sich. Es ist ein innerer Prozess, der zu bedingungsloser Liebe, Akzeptanz und tiefem Frieden führt.

Die moderne Wokeness hingegen, so scheint es mir, operiert immer noch innerhalb dieser Illusion der Trennung. Sie identifiziert zwar Ungerechtigkeiten, aber sie tut dies, indem sie:

  1. Ständig neue Trennlinien zieht: Statt zu erkennen, dass wir alle Menschen sind, werden wir in immer kleinere Kategorien unterteilt: Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, sozioökonomischer Status, Privilegien und so weiter. Anstatt die Illusion der Trennung aufzulösen, verstärkt die Wokeness diese Trennlinien sogar noch und schafft neue „Wir gegen Die“-Dichotomien.
  2. Das Ego verstärkt, statt es aufzulösen: Im spirituellen Erwachen geht es darum, das Ego zu transzendieren. In der Wokeness kann es aber leicht passieren, dass sich ein „wokes Ego“ bildet. Man fühlt sich moralisch überlegen, weil man die „richtigen“ Ansichten vertritt, die „richtigen“ Wörter benutzt und die „richtigen“ Kämpfe kämpft. Dieses Ego ist genauso ich-bezogen wie jedes andere Ego, nur eben mit einem woke-Anstrich. Man weiß es besser, man sieht die Ungerechtigkeit – und das kann zu Arroganz und Verurteilung führen.
  3. Äußere Perfektion statt innerer Transformation anstrebt: Die Wokeness konzentriert sich oft darauf, die äußere Welt „gerecht“ zu machen – durch Sprache, Gesetze, soziale Normen. Das ist nicht falsch, aber es ist nur die Oberfläche. Das wahre spirituelle Erwachen beginnt im Inneren, mit der Transformation des eigenen Bewusstseins. Wenn wir innerlich nicht geheilt sind, werden wir immer wieder neue Feindbilder finden, selbst wenn wir alle äußeren Ungerechtigkeiten beseitigt hätten.
  4. In der Verurteilung verhaftet bleibt: Anstatt Vergebung, Verständnis und Einsicht in die Komplexität menschlicher Erfahrungen zu fördern, neigt die Wokeness oft dazu, Menschen für Fehler oder „falsche“ Ansichten zu verurteilen und zu „canceln“. Das schafft keine Brücken, sondern Gräben. Das wahre Einssein kennt keine Verurteilung, denn es erkennt, dass jeder Mensch auf seinem individuellen Pfad ist und aus seiner eigenen (oft leidvollen) Erfahrung heraus handelt.

Die Illusion der Moralität: Gefangen im ewigen Kampf

Wenn die Wokeness uns ständig dazu anhält, die Welt in „gut“ und „böse“, „privilegiert“ und „unterdrückt“, „richtig“ und „falsch“ einzuteilen, dann bleiben wir gefangen in der Dualität. Und genau diese Dualität ist das Fundament der Illusion der Maya. Solange wir uns auf dieser Ebene bewegen, können wir das wahre Einssein nicht erfahren. Wir sind dann nicht „erwacht“, sondern lediglich wach für eine andere Art von Illusion.

Wir kämpfen dann vielleicht nicht mehr gegen Armut, sondern gegen „patriarchale Strukturen“, nicht mehr gegen Hunger, sondern gegen „toxische Männlichkeit“. Die Kämpfe wechseln, aber der Kampf an sich bleibt bestehen. Und im Kampf gibt es keine Ruhe, keinen Frieden, kein Einssein. Es gibt nur das ständige „dagegen“, das uns Energie raubt und uns davon abhält, uns nach innen zu wenden und die Quelle des wahren Friedens zu finden.

Was bedeutet Wokeness für unser Bewusstsein?

Die Gefahr der modernen Wokeness ist, dass sie uns eine Art von „Erwachen“ vorgaukelt, das uns tatsächlich vom wahren Erwachen fernhält. Sie hält unser Bewusstsein gefangen in:

  • Ständiger Analyse und Kritik: Anstatt die Welt anzunehmen, wie sie ist, und inneren Frieden zu finden, sind wir ständig damit beschäftigt, Fehler, Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten zu analysieren und zu kritisieren. Das hält den Geist in einem Zustand der Unruhe.
  • Identifikation mit der Opferrolle oder dem Retter-Komplex: Entweder identifiziert man sich als Opfer von Ungerechtigkeit (was zu Wut und Groll führen kann) oder als Retter, der die Welt „korrigieren“ muss (was zu Überheblichkeit und Burnout führen kann). Beide Rollen sind ego-basiert und halten uns vom Einssein ab.
  • Angst vor dem „falschen“ Denken oder Sprechen: Die Angst, etwas „Falsches“ zu sagen oder zu denken, kann zu einer Art Selbstzensur führen, die unsere Authentizität und spontane Kommunikation einschränkt. Das wahre Einssein ist aber befreiend und spontan.
  • Ablenkung vom Inneren: Wenn unser Fokus ausschließlich auf äußeren Problemen und deren „Behebung“ liegt, vernachlässigen wir die innere Arbeit. Das spirituelle Erwachen ist aber primär ein innerer Prozess.

Der Weg zurück zum wahren Erwachen: Ein Plädoyer für Achtsamkeit und Einheit

Ich möchte nicht missverstanden werden: Es ist wichtig, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und Ungerechtigkeiten anzuprangern. Doch die Art und Weise, wie wir dies tun, macht den Unterschied. Wenn wir uns von einer oberflächlichen „Wokeness“ blenden lassen, die uns im ewigen Kampf der Dualität gefangen hält, verpassen wir die Chance auf das wahre Erwachen.

Der Weg zum Einssein erfordert:

  1. Inneres Schauen: Bevor wir die Welt „korrigieren“ wollen, müssen wir uns selbst erkennen. Wo sind unsere eigenen Vorurteile? Wo halten wir an Trennung fest? Wo nährt unser Ego den Kampf?
  2. Verständnis statt Verurteilung: Jeder Mensch handelt aus seiner eigenen Geschichte, seinen eigenen Ängsten und seiner eigenen Unwissenheit heraus. Das bedeutet nicht, Ungerechtigkeit zu tolerieren, aber es bedeutet, mit Verständnis und Mitgefühl zu reagieren, statt mit sofortiger Verurteilung.
  3. Die Auflösung der Trennung: Das wahre Erwachen erkennt, dass wir alle miteinander verbunden sind. Es gibt keine „Anderen“. Es gibt nur uns.
  4. Handeln aus Liebe, nicht aus Wut: Wenn wir für Gerechtigkeit kämpfen, sollten wir dies aus einer Haltung der Liebe und des Mitgefühls tun, nicht aus Wut, Groll oder dem Bedürfnis, „Recht zu haben“.

Wach sein, aber richtig!

Die moderne Wokeness hat zweifellos wichtige Debatten angestoßen und das Bewusstsein für bestimmte Ungerechtigkeiten geschärft. Aber wenn sie uns in einem Teufelskreis aus Verurteilung, Trennung und äußeren Kämpfen gefangen hält, dann ist sie keine Befreiung, sondern eine weitere Facette der Illusion der Maya.

Lasst uns wirklich „wach“ werden – nicht nur für die Oberflächenprobleme, sondern für die tiefe, universelle Verbundenheit, die uns alle eint. Lasst uns die Schleier der Illusion lüften, die uns in „Wir gegen Die“ denken lassen. Denn nur im Einssein, in der bedingungslosen Liebe und Akzeptanz, finden wir den wahren Frieden und die Freiheit, die unser Bewusstsein wirklich befreien.

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