Mutter Erde und ihre Gäste

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Die alte Gaststätte liegt irgendwo im dunklen Niemandsland an der Milchstraße: Kein Mensch weiß,  wie sie dahin kam. Sie heißt „Zur Mutter Erde“, und es geht seit gut vier Milliarden Jahre bei ihr rund. Bevor Gäste kamen, war sie eine wüste Bleibe. Aber schon vor rund 350 Millionen Jahren war der erste Stammgast da. Ein riesiger Typ, bis heute das höchste Wesen unter den Gästen von Mutter Erde.

Der Riese ist aus gutem Holz, ruhig und bescheiden. Er musste sich mit wenig zufrieden geben. Mehr als Wasser und Luft gibt’s nicht –  und die Sonne, die das Ganze mehr oder weniger erleuchtet. Der schwere  Brocken konnte nur als Selbstversorger überleben und entschied sich deshalb für die Nutzung der Sonnenenergie.

Mit weit ausgestreckten Armen fängt er die wärmenden Strahlen ein, die die Sonne durch Universum schickt. Gleichzeitig fährt er am Fuß seine Fühler aus: Mit diesen Spürgeräten findet er auch den letzten Tropfen. In hauchdünnen Kanälen zieht er das Wasser nach oben, bis er es in der Krone hat.

Dank eine Zauberformel macht er sich aus Sonnenlicht, Wasser und dem Stickstoff in der Luft sein Stärke-Futter. Sein einziges Organ ist ein unbeschriebenes Blatt. Dem hilft ein Grüner: Der  Farbstoff Chlorophyll.

Die Sache ging lange gut. Der alte Riese wuchs und gedieh, und es blieb sogar noch was übrig für den Rest der Welt. Mit frischem Sauerstoff sorgte er für ein besseres Klima. Er ist ein sauberer Geselle: Wirft seinen Abfall auf den Kompost und braucht ihn selbst wieder auf. Er filtert den Staub aus der Luft und den Schmutz aus dem Wasser und dämpft – wenn´s mal hitzig wird – Temperatur und Lärm. Er ist eine Seele von Geschöpf und macht die Umwelt freundlich.

Der Wohnwert der gastlichen Mutter Erde stieg Jahrtausend für Jahrtausend. Bald wimmelt es von neuen Gästen. In guten Zeiten waren es

  • 800.000 Arten von Insekten
  • 8.600 Arten von Vögeln und
  • 4.000 Arten von Säugetieren

Der Letzte kam vor kurzem auf allen Vieren dazu. Ein kleiner Zwerg, ohne Waffen oder Flügel, nackt und ziemlich lahm. Er war nur durch sein etwas zu groß geratenes Gehirn aus der Art der übrigen Säugetiere geschlagen.

Aber der Zwerg stellte sich auf die Hinterbeine. Er machte das Maul auf und nannte die Dinge beim Namen. Das nannte er Sprache. Den alten Riesen nennt er Baum, und sich selbst Mensch. Mit List und Tücke überlebt der Mensch hitzige und eisige Zeiten und sogar die Drachen.

Mutter Erde, Baum
und Mensch

Wenn es unangenehm wurde, suchte er beim Baum Schutz und Wärme. Aber er suchte auch Trost und Rat. Dem hohen Baum traute der Mensch Übersicht zu. Seit Adam und Eva blickte er zu ihm auf und vergötterte ihn. Schließlich vermutete er das Jenseits meist oben. Dann hielt er die ausgestreckten Arme des Baumes für gute Antennen. Manchmal sah er die Sache auch unterirdisch. Dann glaubte er, der Baum wurzelt auf besonders guten Beziehungen zur Unterwelt.

Egal, aus welcher Richtung der Mensch ihn  betrachtete, der Baum galt als Ursprung des Lebens, als Sinnbild der Fruchtbarkeit der Kraft, und des Kosmos. Und als Stütze und Stab der Götter sowieso. Hera, der Gattin des Zeus, diente dazu der Granatapfelbaum, Apollo hielt sich an den Lorbeer. Dem germanischen Götterboss Wotan stand die Erle zu und seiner Gemahlin Freya die liebliche Linde. Der Baum wurde als Orakel befragt, wurde zum Versammlungsort, zum Richtplatz und zur Henkerstätte.

Bei den alten Germanen war es eine Todsünde einen Baum zu fällen. Aber der Mensch verlor die Angst vor der Sünde. Und bald führte er sich auf wie die Axt im Wald. Mit Feuer und Steinbeil rückte er in Mitteleuropa dem Eichenwald zu Leibe und legte  dafür Felder an. Schließlich ließ er die Sau raus. Er hatte das Tier häuslich gemacht und schickte es zur Ernährung in die Wälder.

Schweine und Kühe mästeten sich an Eicheln und zum Leidwesen der Bäume auch an der Rinde. Der Mensch gewann immer mehr die Oberhand und machte sich breit. Der Baum musste zurück weichen und sich anpassen. Der Aufsteiger hielt sich bald für den Größten und die Krone der Schöpfung. Der Baum blieb stumm, aber er schreibt alles auf. In seinem Stamm seinem riesigen Ringbuch hat er den Lauf der Zeiten festgehalten: Dicke Ringe markieren gute Jahre, dünne Ringe die schlechten, und die Ringe werden immer dünner.

Einige Chronisten der letzten 1.000 bis 2.000 Jahre lebten noch: Zernarbte und zerzauste Einzelgänger, unbestechliche Zeugen, die so schnell nichts umhaut, es sei denn der Mensch.

Der ist nämlich erst in zweiter Linie Mensch. In erster Linie ist er Konsument, der den Wald pflegt wie ein Getreidefeld: Zum Abmähen bestimmt. Die Biologen nennen das „heterotroph“ im Gegensatz zu „autotrophen“: Sich selbst versorgender Baum. Das  sind das Wesen, die sich von der lebender Substanz Anderer ernähren. Das ist in der Gaststätte „Zur Mutter Erde“ so üblich und eigentlich nichts Schlimmes.

Aber der Mensch ist ein Nimmersatt, und in seiner Fressgier nimmt er Anderen alles weg. Deshalb verkommt die geistliche Mutter Erde zu einer finsteren Spelunke. Die Lüneburger Heide wurde schon vor Jahrhunderten leergeholzt. Schließlich ging die Heide endgültig den Bach runter. In Riesenflößen – 300 m lang und 15.000 t schwer – wurde der Baum für den Schiffbau vom Schwarzwald den Rhein runter geflößt.

Auch Handwerk und Industrie kamen mit dem Baum auf einen grünen Zweig: Vom Gerber bis zum Zimmermann, vom Schmied bis zum Seiler, von der Glashütte bis zur Metallschmelze. Und vor allem das Bergwerk, dass Millionen junger Bäume verschlang, um seine finsteren Gänge zu stützen.

Dann zu allem Überfluss begann der Mensch nun den Keller von Mutter Erde auszuräumen. Den hat der Baum über Jahrhunderte gut gefüllt. Unter jedem liegen Generationen seiner Vorfahren, längst zerfallen und zu Kohle geworden. Der Mensch verfeuert diese Vorratslager, als gäbe es kein Morgen. Das vergiftet natürlich die Atmosphäre, die kann der Staubsauger Baum auch nicht mehr reinigen.

Der Menschen nennt das alles Zivilisation und Fortschritt. Diese Krankheit breitet sich furchtbar schnell aus. Das Kapitel in der Geschichte von Mutter Erde, in dem sie es soweit gebracht hat, wird Holozän genannt. Es begann vor fast 10.000 Jahren und macht gerade 0,00021 Prozent der Erdgeschichte aus.

Der gute alte Baum hat es jedenfalls rechtzeitig gewusst und auch gesagt. Dank seines ausgeklügelten Frühwarnsystems spürte er die dicke Luft als Erste. Er  verfärbte seine Blätter und Nadeln und bekam Krebsgeschwüre. Mutter Erdes Saubermann wurde faul.

Deshalb kommt jetzt der ganze Haushalt durcheinander: Der Abfall türmt sich, die Luft wird immer dicker und das Wasser immer knapper. Mutter Erde präsentiert die Rechnung, und der Mensch prellt die Zeche.

Aber den Baum kriegt er trotzdem nicht aus dem Kopf: Ohne ihn gibt es nun mal kein Gleichgewicht, Weder beim Klima noch in der Seele. Der Baum ist durch nichts zu ersetzen. Kann es sein, dass das am Ego liegt? Doch dazu ein späterer Stelle mehr.

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marienkaefer

 

 

 

 

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