Über ein stolzes Wesen im Tier Knast veröffentlichte Rainer Maria Rilke 1907 folgende traurige Zeilen:
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Sie kamen mir unweigerlich in den Sinn, als ich wider besseren Wissens einen Tierpark besuchte. Oder sollte ich besser Tier Knast sagen? Diese Bezeichnung ist wohl eher geeignet für eine solche Einrichtung! Denn Tiere, die in der freien Wildbahn normalerweise viele Quadratkilometer Platz haben, sind hier auf relativ engem Raum eingesperrt.
Hinweisschilder an den elektrisch gesicherten Zäunen erklären, dass manche Arten schon völlig ausgerottet waren und nun wieder neu gezüchtet wurden. Aber wozu? Für ein Leben hinter Gittern, ständig von Menschen begafft und auf die tägliche Futterration angewiesen?
Tier Knast und Freiheit
Die Tierpfleger berichten, dass die Tiere ausschließlich Fleisch ihrer natürlichen Beute erhalten. Aber eine artgerechte Jagd wie in der Natur ist im Tier Knast natürlich nicht möglich. So werden Fleischfetzen, ähnlich unseren Schnitzel, auf lange Stangen gespießt und den Insassen vor die Mäuler gehalten. Ja, sie müssen springen, klettern und sich manchmal auch anknurren, um an ihre Rationen zu gelangen. Sehr zum Gaudium der umstehenden Besucher!
Manch einer wird nun einwenden, ich sähe das viel zu eng. Denn die Tiere haben doch ein glückliches Leben ohne Sorgen. Sie können sogar viel länger als in einer imaginären freien Wildbahn existieren! Und schließlich kennen sie kein anderes Leben …
Aber da bin ich wohl unbelehrbar. Denn bei solchen Worten kommen mir weitere Zeilen in den Sinn, diesmal von Johann Wolfgang von Goethe: „Niemand ist mehr Sklave als der, der sich frei fühlt, ohne es zu sein.“ Und hier sehe ich eine verblüffende Parallele zur menschlichen Gesellschaft.